In der neuen Folge unseres Buch-Podcasts "Was liest du gerade?" sprechen
Iris Radisch und Adam Soboczynski über aktuelle Neuerscheinungen des
neuen Jahres. Julia Schoch hat ihre autofiktionale Trilogie "Biographie
einer Frau" abgeschlossen, in der sie dem Wandel der Liebe in
verschiedenen Lebensabschnitten nachgeht. Trifft es zu, dass wir im Lauf
unseres Lebens immer größere Wohnungen, aber immer kleinere Gefühle
haben? Heute geht es um den letzten Band "Wild nach einem wilden Traum",
in dem die Autorin von einer lange zurückliegenden "love affair" mit
einem katalanischen Schriftsteller erzählt. Die Liebe, bekennt sie,
steht in ihrem Leben immer für etwas Früheres, Älteres, das verloren
gegangen ist. Ist sie am Ende vielleicht vor allem Einbildung, also
Literatur?
In dem großen Roman "Sehr geehrte Frau Ministerin" von Ursula Krechel
ist die Liebe von Einsamkeit und hellsichtiger Desillusion abgelöst
worden. Hier werden vier Frauenleben erzählt und kunstvoll miteinander
verlinkt: das Leben einer älteren Fachverkäuferin für Reformhausartikel
mit ihrem erwachsenen Sohn, das einer Lateinlehrerin mit ihrem Faible
für Agrippina, der Mutter des römischen Imperators Nero, und das einer
Justizministerin, die beinahe das Schicksal von Agrippina erleidet.
Ursula Krechel erzählt von rätselhaften Mutter-Sohn-Beziehungen, von
Alter, Krankheit und Gewalt gegen Frauen. "Die Frau", heißt es
lakonisch, "ist lästig in der Geschichte, sie muss verschwinden. Am
besten, sie räumt sich selber aus dem Weg, sodass kein Schatten von ihr
auf die Geschichte fällt und die Männergeschichte unaufhaltsam ihren
Lauf nimmt."
Unser Klassiker ist die kleine Rede "Lübeck als geistige Lebensform" aus
dem Jahr 1926, in der Thomas Mann, der vor 150 Jahren geboren wurde,
sich zu seinen Wurzeln bekannt hat. Lübeck hat dem Jubilar beim
Schreiben stets als Kompass gedient. Vom Lübecker Bürger ist er zum
Weltbürger geworden, der mit norddeutscher Nüchternheit und Humor zu
einem europäischen Humanismus fand.
Unser Zitat des Monats stammt dieses Mal aus dem neuen Roman
Wackelkontakt von Wolf Haas.
Das Team von "Was liest du gerade?" erreichen Sie
unter
[email protected].
Literaturangaben:
Julia Schoch: Wild nach einem wilden Traum, dtv, 176 Seiten, 23 Euro
Ursula Krechel: Sehr geehrte Frau Ministerin, Klett-Cotta, 368 Seiten,
26 Euro
Thomas Mann: Lübeck als geistige Lebensform, erschienen in Essays III,
1926 bis 1933 als Teil der Gesamtausgabe im S. Fischer Verlag
Wolf Haas: Wackelkontakt, Hanser, 240 Seiten, 25 Euro
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